Die Ruhe vor dem Buchsturm
Wenn es absolute Stille ist, die mein Segelboot über des Meeres Weite dümpeln lässt, kann dies nur eines bedeuten: Es braut sich was zusammen.

Doch erfahrungsgemäß hatte ich noch etwas Zeit, also lagerte ich grinsend die Füße auf den Kajütentisch und wippte selbst mit dem Schaukelstuhl, da die Wellen es mir heute nicht abnahmen. Noch nicht. Neben meinen Beinen lag die Tageszeitung vom vorigen Hafen. Ich blätterte kurz darin und warf sie zurück auf die Tischplatte. Nichts ist so langweilig wie die Nachrichten von vorvorvorgestern, aus einem Ort, den ich nie wieder besuchen würde. Sollte ich Staubwischen?
Nö. Ich wippte. Das Meer nicht. Hinter dem Bullaugenglas bewegte sich auch nichts. Doch. Kräuselte da auf der elend glatten Wasserfläche nicht eine einzelne Welle, ein kleiner Vorbote, dass es endlich losging?
Nö. Nur ein paar harmlos runde Kringel die schnell verschwanden, vielleicht von einem kleinen Fisch, der an der Oberfläche wissen wollte, wie das Wetter wird. Ich wollte auch wissen, wie es wird. Vor allem wann. Sollte ich das Deck abseifen?
Nö. Da ging nachher sowieso der Rasmus drüber. Oder morgen. Oder übermorgen. Spätestens, hoffte ich.
Dann kam der Knall. Und das Wasser.
Das war zu früh, zu plötzlich und insgesamt total unlogisch. Ich hörte auf zu wippen und starrte unter den Tisch, über meine Beine: Auf den hölzernen Bugspriet, der sich soeben präzise durch das Bullauge gebohrt hatte. Leider inklusive einem scharfem Bug darunter, in dessen Begleitung jede Menge Meer fröhlich hereinsprudelte.
Sollte ich die Beine unter dem Bugspriet herausziehen?
Nö. Der Wasserpegel stand in null Komma nix an der Tischplatte und Eile war sinnlos, wenn es kein realistisches Ziel gab: Gewaltsame Sturzbäche rauschten bereits durch den Eingang über die Treppe. Ich wusste, gegen die einströmenden Fluten würde ich die Kajütentür nie erreichen.
Keep cool, gleich wird es noch kälter. Final kalt, außer …
Ganz eventuell könnte ich lostauchen, wenn die Strömung aufhörte. Wenn mein Schiff und ich vollgelaufen Richtung Grund schwebten. Noch eventueller würde ich sogar die Oberfläche erreichen. Und noch viiiiel eventueller sank das andere Schiff nicht mit, denn wer sollte mich sonst rausfischen? Letzteres war allerdings extrem unwahrscheinlich, denn ich klammerte mich gerade verzweifelt an dessen Bugspriet, der absurderweise noch immer in meinem Bullauge steckte.
Mit dem Wasser bis zum Hals war ich wohl nicht mehr so cool, was ich mir selbst angesichts der Umstände aber verzieh. Schließlich hielt ich notgedrungen die Luft an und mein vermutlich letzter Gedanke war: »Verdammter Autopilot. Wenn zwei zugleich sich blind darauf verlassen, ist der Ozean zu klein, um den Sturm zu erleben.«

Puh, glücklicherweise sind es nur stürmische Worte, für euch zu Lesen rettet quasi gerade mein Leben. Hier bohrt sich kein Bugspriet durchs Fenster. Doch warten wir lieber nicht auf den Sturm, sondern fahren selbst hinein:
Ein Buch ist ein Schiff. Mit einem Vorteil: Es sinkt nicht mit dir. Es nimmt dich schützend auf und entführt in andere Welten. Dein Herzschlag ist der Motor, dein Lächeln der Treibstoff.
Wenn du deine Lesungen klug wählst und deinen Kurs durch die Windböen des Festivals geschickt steuerst, kann ›Gastgeber Sprache‹ dir Freude mit Info, Spannung wie Entspannung und sogar Glück bringen.
Obige Fassung war Teil der Eröffnung des Literaturfestivals am 27.2.2019.
Für die Finissage am 23.04.2019 wurde der letzte Absatz (wieder) etwas abgewandelt.
Für die Literatur im Allgemeinen, und die Verdeutlichung meines persönlichen Slogans im Besonderen, hänge ich euch auch noch das vom Festival unabhängige, urspüngliche Ende hier an:
Puh, glücklicherweise sind es nur stürmische Worte, für euch zu Schreiben rettet quasi gerade mein Leben. Hier bohrt sich kein Bugspriet durchs Fenster. Doch warten wir lieber nicht auf den Sturm, sondern fahren selbst hinein:
Ein Buch ist ein Schiff. Mit einem Vorteil: Es sinkt nicht mit dir. Es nimmt dich schützend auf und entführt in andere Welten. Dein Herzschlag ist der Motor, dein Lächeln der Treibstoff.
Wenn du deine Literatur klug wählst und geschickt steuerst, kann das Buch dir Freude mit Info, Spannung wie Entspannung und sogar Glück bringen.
In diesem Sinne möchte ich euch meine Bücher natürlich auch ans Herz legen: medienschiff.de